Fußball WM 2011  - Finale

17.11.13

Wir trafen uns um zehn Uhr in den Räumen unserer Redaktion. Draußen regnete es und durch die Jalousien war der graue Himmel zu erkennen. Am Boden spiegelte der nasse Asphalt von den Strassen, auf denen Sonntags nur wenig Betrieb herrschte.

Elfetè hatte belegte Brötchen, Kaffe und Tee bereit stellen lassen. Wir versammelten uns zunächst rund um dieses Büffet und plauderten über die vergangenen Tage. Nori hatte sich entschuldigen lassen. Er war auf einer Ausgrabungsstelle und konnte dort nicht weg.

Nachdem ich mir ein Wurstbrötchen auf den Teller geladen hatte und mit einem Kaffe zu einem der Tische gegangen war, unterhielt ich mich mit Ansteuer über die wirtschaftlichen Zusammenhänge und was noch auf uns zukomme, wenn die USA im August pleite gehen würde. 

In Hörweite standen Lars und Jannet. Er hatte sie tatsächlich mitgebracht und ging darauf von Mitarbeiter zu Mitarbeiter, stellte sie ihnen einzeln vor. 

Ich sprach kurz mit Elfetè und sagte ihr, dass ich es nicht richtig fände, wenn Jannet bei einer solch wichtigen Besprechung teilnehmen würde. Lars Landstrasse habe selber angedeutet, dass es sich um eine Spionin handeln könne. Elfetè sprach mit Lars, worauf er ihr mehrere Dokumente überreichte und Elfè mich irgendwie komisch, schräg ansah. Dann gingen wir in den Konferenzraum und suchten uns einen Platz. 

Elfetè begrüßte uns freundlich und zeigte auf unseren Gast aus den USA. Sie habe gerade von Lars die Bestätigungen erhalten, dass es sich bei Jannet Runner um eine Vertreterin einer angesehnen Bloggerredaktion in New York handele und man dort großes Interesse an einer Zusammenarbeit mit finanzieller Beteiligung zeige. Daher würde Elfetè es begrüßen, wenn wir der Teilnahme an unserer Diskussion zustimmen würden. Es kam zur Abstimmung mit Handzeichen. Ich konnte natürlich nicht mehr ablehnen und so war es einzig Jun Ky und Burgunder Train, die sich der Stimme enthielten. Alle anderen stimmten dem Besuch zu.

Nun kam unsere redaktionelle Leiterin erneut auf die finanzielle Lage zu sprechen. Sie erklärte, dass besonders im Bereich des Sportes zur Zeit hohe Ausgaben zu verzeichnen waren, sagte aber wenigstens dazu, dass sich dies mit der Frauenfußballweltmeisterschaft erkläre, die in Deutschland statt gefunden habe. Bei einer Weltmeisterschaft im Ausland habe man nicht so hohe Kosten, da man zumeist von dem Fernseher aus berichte. Dabei sah sie mich scharf an. Über einige Ausgaben an Hotels und Spesen müsse man noch mit dem entsprechenden Verantwortlichen reden. Mir schwante Übles.

Als Nächstes wollte sie unsere Vorschläge aufnehmen. Also sprach sie Ansteuer Schaltung an, der ihr am nächsten saß. Ansteuer erhob sich: 

"Ich dache mir, wir könnten eine Sparte aufgreifen, die es noch nicht so häufig gibt, indem, wir über Geräte, Mechanismen und Instrumente schreiben, die wir täglich benutzen. Es könnte sich dabei um technische Beschreibungen, Aufbau und Funktionsweisen, sowie Mängelhinweise handeln. Dies ist sicher ein sehr spezieller Bereich, aber einige Kunden würden sich schon dafür interessieren."

"Es wären auch Geschichten denkbar, die mit einer Todesfolge endeten! Fön in der Badewanne, oder so ...", warf Jun Ky ein.

Alfred Abstecher beugte sich zu mir hinüber und flüsterte in mein Ohr: "Elfetè versucht sich im Waffenhandel. Sie tut dies im Glauben, sie könne den Dreckberg bei der Mordgeschichte unterstützen." Damit stellte sich für mich die Frage, ob man Elfetè die redaktionelle Leitung noch bis zum Ende des Quartals überlassen durfte, oder ob sie bereits vorzeitig abzusetzen war.

Elfetè notierte. "Gut. Wir werden im Anschluss an die Vorschlagsaufnahme darüber diskutieren und eure zusätzlichen Ideen aufnehmen." Sie deutete mit dem Schreiber auf Burgunder. "Was ist mit eurer Mordssache? Seid ihr weitergekommen?"

Burgunder schüttelte den Kopf. "Wir haben angefangen. Es gibt auch gute Ansätze, aber niemand möchte der Mörder sein. Letztendlich sind wir wieder bei einem Unfall gelandet, aber dies war ja nicht unser Ziel. Nun müssen wir wohl nochmals von Vorne beginnen."

"Aha. Verstehe. Aber ich bitte euch daran zu denken, dass uns langsam die Zeit unter den Nägeln brennt!" Elfete wies auf Husten und Schneu-Zen.

"Ich muss für unseren Vorschlag kurz ausholen." begann Husten seinen Vortrag. "Wir haben lange nachgedacht und sind uns bereits über das Ziel einig: Wir wollen Europa auf den Mars bringen!" "Das verstehe ich!" rief Steffi Stern spontan. "Nein, nicht wie du jetzt vielleicht denkst. Wir möchten den Mars besiedeln!" "Ja, klar. Ich sage doch, dass ich das verstehe!". Ich bekam das Gefühl, Steffi Stern wolle in der Sache mitmachen und lächelte zufrieden in mich hinein. Husten fuhr fort: "Weil auf dem Mars, wegen der geringeren Schwerkraft, aber eine dünnere Atmosphäre vorhanden ist und außerdem nicht genügend Wasser für Ozeane, haben wir den Plan, den Jupitermond Europa auf den Mars stürzen zu lassen. Im Rahmen unseres Terraforming - Ansatzes würden sich Mars und Europa vereinen und einen größeren Planeten mit genügend Ressourcen erschaffen." Steffi Stern blickte auf die Papiere. "Gut, jetzt habe ich verstanden!" 

Nach Luft schnappend, sah Elfetè Husten an. Darauf erblickte sie mich: "Und du?"

Ich räusperte mich und lehnte mich nach vorne. Entsprechend dem Rat von Nori hatte ich mich nicht weiter um eigene Vorschläge gekümmert. Ich wollte Husten und Schneu-Zen einfach bei ihren Ideen unterstützen. Deswegen kam ich nun in Verlegenheit. "Ich ähm - bin vollauf Hustens Ansicht. Europa auf den Mars und besiedeln. Ähm, ja genau - das ist die richtige Initiative."

Zum Glück unterbrach Burgunder Train die peinliche Situation, als er bemerkte: "Ich hatte die vergangenen Tage einen schlimmen Albtraum. Dabei ging es um den Bahnhof in Stuttgart. Er wurde genehmigt und dann, nachdem der Tunnel fertig gestellt war, stürzten mit einem Mal alle Häuser, die darüber gebaut waren ein und in dem Berg entstand eine tiefe Schneise, weil der Tunnel in sich zusammen gebrochen war." 

Lars Landstrasse entgegnete ihm: "Eher überfällt Mars den Bahnhof, als das der Tunnel einstürzt und ich meine damit nicht den Planeten. Dennoch gibt es hierin einige gute Ansätze. Ich spreche von einer globalen Verschwörung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, einen Großteil der Menschheit auszulöschen, um ihre eignen Vorstellungen einer besseren Zukunft zu verwirklichen. Das wäre doch mal ein Thema mit Potential."

Ich dachte zurück an meinen Aufenthalt im Stadion, als ich den Pudding erhielt. Plötzlich kam mir der Zettel vor Augen und ich erkannte die Handschrift der Warnung wieder. "Du warst das." entfuhr es mir, "Du hattest mir diesen Brief und den Pudding zukommen lassen."

Lars hatte sich selbst verraten. Einen Ausweg suchend antwortete er: "Entschuldige Steffen. Aber ich musste dich auf die Weltverschwörung aufmerksam machen. Da du mir nicht geglaubt hättest, blieb mir keine andere Wahl." Er hielt mir beide Hände mit der flachen Innenseite entgegen. 

Ich stieß nach: "Du warst dir über deine strafbare Handlung im Klaren. Deswegen auch deine überstürzte Flucht mit Jannet nach Amerika! Wusste sie bereits von deiner Tat? Oder habt ihr dieses Intermezzo gemeinsam geplant?" Jannet war weiß wie die Wand geworden und ihr Haar schimmerte grau vom Licht des bewölkten Himmels. 

Steffi Stern erhob sich und schritt hinter die Beschuldigte während sie sprach: "Ich kann das nicht zulassen, Steffen. Selbst wenn an dem was du gerade behauptetest etwas Wahres dran sein sollte, so ist sie doch unser Gast. Und damit besitzt Miss Runner selbstverständlich Immunität."

"Toll. Endlich mal 'ne richtige Story!" jubelte Jun Ky und mit einem "Sachte, sachte." versuchte Burgunder ihn zu beruhigen.

Ich stand auf und zog meine Jacke an. "Wenn das so ist, dann kann ich ja gehen! Ich muss sowieso nach Frankfurt zum Endspiel!"

Ich verließ die Büroräume, ohne dass mir jemand widersprach. Währenddessen entflammte zwischen den Anwesenden eine rege Diskussion.

Draußen bestieg ich meinen eigenen Wagen und fuhr damit zur Finalbegegnung Japan gegen die USA. Im Stadion angekommen traf ich auf Noricum Record. Erstaunt fragte ich ihn: "Ich dachte, du seiest bei einer Ausgrabung?"

"Nein, dies war arrangiert und ich habe auch gerade nochmals mit Steffi Stern am Handy gesprochen. Ich soll dich abfangen und dir alles erklären, damit Husten und Schneu-Zen nichts davon mitbekommen." Er eröffnete mir nun, dass Steffis Vater bereits vor geraumer Zeit  über eine mögliche Zusammenarbeit zwischen Jannet und Lars informiert worden sei. Da man Schneu-Zen bei uns unterbringen und unterstützen wollte, wurde sie mit einem Auftrag versehen. Deswegen auch die Fahrt von Husten und Schneu-Zen nach Frankreich und die, vermutlich fingierte, Sache mit dem Brand im Atomkraftwerk. Dies alles habe nur dazu gedient, Schneu-Zens Interesse zu wecken und uns alle voreinander zu schützen. Sie selbst wisse gar nichts davon. Nun, da sie aber von Husten schwanger geworden sei, was niemand habe voraussehen können, könne man ihr die Wahrheit nicht auch noch präsentieren, nach dem Zwischenfall mit Fukushima. Dies wäre unehrenhaft und die Gefahr sei zu groß, dass es zu Komplikationen käme. Und das ich mich überhaupt wieder an die Warnung erinnere, sei nicht geplant gewesen. "Aber warum das alles denn? Ich hätte doch auch so mitgemacht!" fragte ich verzweifelt. "Das kann ich dir auch nicht sagen. Es kann eine Angelegenheit von größerer Tragweite sein, vielleicht ist es aber auch nur die Freundschaft vom Vater von Steffi mit dem Vater von Schneu-Zen, die zu all dem geführt hatte." "Der Vater von Schneu-Zen? Wer ist das denn?" "Der Familienname ist Shinzon! Er ist ein reicher und mächtiger Mann und möchte, dass seine Tochter in unserer Redaktion mitarbeitet! Die Amerikaner wollten mehr darüber erfahren, was bei uns läuft, kauften Lars und schickten Jannet." 

Die Spielerinnen der USA und von Japan liefen ein.

Lars und Jannet erreichten das Stadion zusammen mit Husten und Schneu-Zen. Sie nahmen oberhalb von uns Platz und ich sah, wie auch der Rest der redaktionellen Mannschaft durch das Zuschauertor auf die Tribünen kletterten. Steffi winkte mir lachend zu. Ich beherrschte mich und nahm meinen Laptop, um die letzte Begegnung zu kommentieren. 

Die Amerikanerinnen begannen angriffslustig und es hagelte Torschüsse auf den Kasten der Japanerinnen. Darunter unhaltbare Treffer, die nur durch den Innenpfosten, oder die Latte davon abgehalten werden konnten, hinter die weiße Linie, die das Tor begrenzt, zu springen. Erst nach  gespielten zwanzig Minuten kamen die Japanerinnen zu einer ersten Chance, sich gegen die donnernden Angriffe der Amerikanerinnen zu wehren. Die Zuschauer brausten bewundernd auf, als sich eine Japanerin vor der amerikanischen Torhüterin frei lief, dann aber nur in die Arme von Hope Solo versenkte.

Bis zur Halbzeit sahen wir ein spannendes und abwechslungsreiches Spiel, dem die Krönung des Torerfolges aber noch nicht beschieden war. Gespannt wartete ich auf die zweite Hälfte.

Die Amerikanerinnen hatten immer noch einen starken Antritt, konnten die Japanerinnen in die Abwehr zwingen und brachten gefährliche Torschüsse. Jedoch erst in der 68. Minute erlangte ein Blitzkonter den Durchschlag. Alex Morgan lief von der Mittellinie an, holte sich den Ball und verwandelte. 

War das Ende für die, bislang so bewundernsvoll, starken Japanerinnen gekommen? 

Es war für die Frauen sichtlich schwerer geworden, sich den Ball zu erkämpfen. Nicht die Laufbereitschaft hatte nachgelassen, aber die Genauigkeit und damit die Gefährlichkeit der Angriffe. Dadurch wurden sie Weich. Mitunter kneteten sie das Spiel förmlich und in der 80. Minute kamen die Japanerinnen plötzlich und überraschend doch noch vor das Tor der USA. Wir erlebten die helle Freude, als sie den Amerikanerinnen das Unentschieden durch Aya Miyama aufbürdeten. Nun waren es wieder die USA, die mit der dunklen Masse zurecht kommen mussten, die ihnen die vergangenen Spiele abverlangt hatten und die mit ihnen mitlief, bei jedem Angriff, bei jedem Schritt. Mit letzten dramatischen Anstürmen gegen beide Tore, aber ohne weiteren Treffer, ging diese Finalbegegnung nach neunzig Minuten in eine weitere halbe Stunde.

Der Thriller erreichte wohl in der Verlängerung seinen Höhepunkt, obwohl der Scheitelpunkt bei all diesen Angriffen und Krachern in Richtung der Tore nicht mehr deutlich auszumachen war. Die Stöße und Gegenstöße, die Flanken und Eckbälle, sie waren dicht davor das Spiel zu entscheiden. Als dann aber die Amerikanerinnen von der linken Seite direkt auf den Kopf von Abby Wambach zielten, war die Pocke drinnen.

Die letzten fünfzehn Minuten waren angebrochen und es schien, als wären die Japanerinnen von dem Gegentreffer noch beflügelt worden. Sie stürmten und stürmten, brachten den Ball in den Strafraum und hatten die Chancen auf ihrer Seite, bis zuletzt durch eine Ecke das Leder auf dem Fuß von Homare Sawa in das Netz prallte. 

Hinter mir vernahm ich die hohen, spitzen Schreie der jubelnden Schneu-Zen.

Dann in der letzten Minute der regulären Spielzeit noch einmal ein Angriff der Amerikanerinnen und der wurde von den Japanerinnen nur durch ein Foul gestoppt. Eine rote Karte und ein Freistoß, der aber nicht verwandelt werden konnte, beschlossen das Finalspiel mit einem Unentschieden.

Es folgte die letzte Möglichkeit außer einem Golden Goal, die den Schiedsrichtern gegeben war, um den Sieger spielerisch zu ermitteln: Das Elfmeterschießen.

Ich blickte mich um und sah Jannet und Schneu-Zen, die sich die Hand hielten, wandte mich wieder meinem Bericht zu und schrieb:

"Die Amerikanerinnen legen sich den Ball auf den Punkt und scheitern im ersten Versuch an der Torhüterin. Japan locht ein. Die USA schießt über das Tor. Die Japanerin scheitert an Hope Solo. Die Amerikanerin rutscht aus und vergibt den Ball an Ayumi Kaihori. Den nächsten Schuss hatte Hope Solo beinahe, doch er gleitet zwischen ihren Fingern rein. Die Amerikanerin Abby Wambach trifft und Saki Kumagai schießt Japan gegen Hope Solo zur Weltmeisterin. Ein grenzenloser Jubelschrei hallt von den Rängen wieder."

Während im Stadion die Ehrung der Spielerinnen aus den USA und aus Japan ablief, lagen sich unsere Blogger und Bloggerinnen in den Armen und küssten sich. Dieses dramatische Endspiel hatte es in sich gehabt und niemand war davon unberührt geblieben.

  

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Sportwind

Autor:

Steffen Windschatten Quelle Copyright Tauka® 2010