Die Flasche |
17.11.13 |
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In einem Wald, dicht und
grün, liegt während eines heißen Sommers eine Flasche. Es ist eine
einfache handelsübliche, klare Sprudelflasche. Auf ihrem Grund hat sich
ein wenig Regenwasser angesammelt, denn der Deckel war entfernt worden. Die Flasche hatte schon mehrere Monate langweilig in diesem Wald gelegen. Man hatte sie achtlos weggeworfen und war nicht daran interessiert gewesen, sie dem Recycling zuzuführen. Doch wenn das Licht der Sonne durch die Blätter der Bäume schimmerte hatte sie genügend Abwechslung. Mal wurde es schattig und angenehm warm, mal wurde es hell und die glitzernden Lichtblitze, der sich brechenden Lichtstrahlen funkelten im Inneren der Flasche. Allein der Wind sorgte für den Unterschied in dem Spiel des Lichtes, wenn sich das Blätterdach über der Flasche schüttelte und wiegte. In der Sphäre der
Flasche entstanden Kondenstropfen, deren Niederschlag sich abends an der
Innenwand der Flasche bemerkbar machte. Nebel legte sich auf die
Innenseite der Flasche und rann an einigen Stellen in dünnen, feuchten
Spuren wieder auf den flachen Boden herab. Zunächst vereinigte sich ein
kleiner Tropfen Wasser mit weiteren und wurde immer größer. Als die
Schwerkraft überwog und die vereinigten Tropfen nicht mehr an der Oberfläche
der Flasche hängen blieben, suchten sie sich einen Weg nach unten, wobei
der Tropfen immer mehr kleine Tropfen aufnahm und die Flasche beim
Abrutschen kitzelte. Das dünne Rinnsal hinterließ ein trockenes
Flussbett zwischen den anderen kleinen Tropfen mit vereinzelten länglichen
Wasserschweifen. Neben der Flasche lagen
Steine und sie hatte Glück gehabt, dass ihr Glaskörper nicht in viele
Splitter zerbrochen war, als sie in das Gebüsch geschleudert worden war.
Sie war von einem Zweig aufgefangen und ihr Sturz war gebremst worden. Dann
schlug sie mit ihrer harten Unterseite auf den Lehmboden auf und hüpfte
klingend gegen die Steine. Mit mehreren Geräuschen, die wie ein „Kling,
Klang, Klong“ durch den Wald schallten, war sie von den Steinen wieder
abgeprallt und zu Boden gerutscht. Sie hatte ihr Quartier zwischen
morschen Holzästen bezogen. Dazwischen war trockenes Laub und viele
Tannennadeln. Das war nicht unbequem. Unter dem länglichen
Flaschenhals hatten sich bereits Ameisen, Spinnen, Asseln und andere
Insekten durchgezwängt und manchmal gesellte sich eine Eidechse zu der
Flasche. Sie suchte Schutz unter dem runden Gegenstand, oder versuchte eine der Insekten zu
erbeuten. Das Reptil berührte mit den Fingern einer Hand sanft die Oberfläche
des Glases, während es sich auf den anderen drei Beinen abstützte,
betrachtete das Unterholz aufmerksam, stieß dann mit dem Maul zwischen
das Laub und zog eine Spinne, oder eine Assel heraus. Dann kletterte die
Echse gewandt über das Glas hinweg und verschwand wieder im Gebüsch. Der Sommer ging und als der Herbst kam, wurde der Wald immer bunter. Die Bäume färbten sich in Rot und Gelb. Bald fiel das Laub der Bäume herab, auf die Flasche. Der Wald wurde karger. An einigen Tagen rauschte der starke Herbstwind durch das Geäst und die Stürme brachten die mächtigen Stämme in Bewegung. Selbst die letzten Blätter wurden vom Baum gerissen und bildeten an geschützten Stellen, zu denen sie geweht wurden, einen Haufen. Sogar am Boden war der Wind zu spüren und entfernte das Blattwerk wieder von der Flasche, die sich gerade ein feuchtes, herbstliches Blattkleid aufgeklebt hatte. Als der erste Schnee kam, lag die Flasche wieder frei in dem Geäst. Sofort bildete sich eine weiße Haube auf ihrem Glasdach. Sie hatte keine Möglichkeit den Schnee tauen zu lassen, denn die Flasche erkaltete sehr schnell. Und weil die Temperaturen noch tiefer fielen, bildete sich in der Flasche Eis. Das Wasser, dass sich am Boden angesammelt hatte, gefror und vergrößerte sein Volumen. Es sag aus als würde sich der Bauch der Flasche wie nach einer guten Mahlzeit füllen, obwohl sie nicht mehr zu sich genommen hatte. Das kalte Medium
versteifte sich auch außerhalb der Flasche und mit dem Schnee befand sie
sich jetzt in einer festen eisigen Umklammerung. Das winterliche Geschehen
umarmte das Glasprodukt und in dieser Verpackung sah die Flasche aus wie
eine zur Hälfte gefüllte Sahnedose in Eissorbé. Die Tage wurden wieder länger
und an den Eiszapfen bildeten sich Tropfen. Der eisige Schmuck, welcher
die Äste mit langen Gebilden versehen hatte und selber aussah wie Glas,
klatschte unrühmlich zu Boden. Die Krallen des harschen Winters lösten
sich und im dem Bauch der Flasche bildete sich ein See, worin ein Eisberg
schwamm, der nach und nach seine Größe verlor. Die Wärme der Sonne
durchflutete den Wald erneut und an den Astspitzen bildeten sich kleine
Knospen. Die Strahlen der Sonne wurden wieder von einem Blätterdach
unterbrochen. Es bildeten sich goldene Bündel, die durch das dünne Grün
zum Boden stießen. Vögel begannen kleine Stöcke und Moos zu sammeln, um sich ihre Nester in den Asthöhlen und in den Baumkronen zu bauen. Wild zwitschernd ließen sie sich auf dem runden Glas nieder und fanden manchmal keinen Halt auf dem glatten Untergrund. Dann flatterten sie aufgeregt mit den Flügeln und versuchten sich auf dem Scheitelpunkt der Rundung zu halten. Erste Käfer hatten sich
aus der Erde gegraben und versteckten sich vor den Vögeln unter der
Flasche. Manch einer wurde vorher erwischt und von dem Piepmatz in
mundgerechte Stücke zerlegt. Als sich die Raupen, die Nachkommen der Käfer
und Schmetterlinge, entwickelten, schlüpften auch die Jungvögel in ihrem
Nest aus den Eiern. Die flinken Eltern suchten sich die grüngelben Tiere
und brachten sie ihren Nachkommen zur Mahlzeit. Nur eine Raupe konnte sich
mit Bewegungen, die an den griechischen Buchstaben Omega erinnern, in den
Flaschenhals retten und kletterte des Nachts wieder aus dem Hohlkörper
heraus. Die Sonne arbeitete sich höher am Himmel empor und erreichte in den Mittagsstunden den Zenit. Ein Loch im Blätterdach ließ die Sonne ungehindert auf das Glas scheinen. Die Flasche wurde genau von diesen heißen Strahlen getroffen und nicht nur das Glas erhitzte sich. Der Boden wurde immer trockener, die morschen Äste unter der Flasche zeigten viele kleine Fasern und zerbröselten bereits, wenn nur eine Maus darüber hinweg huschte. Kein Regen war in Sicht, der verhindern konnte, was der Flasche das Ende bringen konnte. Ihre eigne Form und Transparenz bündelten das Licht der Sonne so stark, dass es wie durch ein Brennglas fokussiert wurde. Das trockene Unterholz begann zu knistern. Dünne Qualmfäden stiegen von dem Fleck auf, in welchem die Flasche die ganze Kraft der Mittagssonne vereinte. Was nun passieren würde
war festgeschrieben wie in einem Programm. Kleine Flammen würden von dem
grellen Fleck aufsteigen und das morsche Holz in Brand setzen. Das Laub
und die Nadeln der Bäume würden ihr übriges tun, um in Windeseile ein
loderndes Feuer einstehen zu lassen. Die Flasche würde sich schwarz färben von dem
Ruß der Brandstelle und dann in den heißen Flammen mit einem Mal in
tausend Stücke zerspringen, weil die Temperatur zu hoch sein würde und
die inneren Spannungen die Flasche zerreißen. Plötzlich fiel ein Schatten auf die Flasche. Ein Fuchs hatte sich genähert und schnüffelte aufgeregt nach dem beginnenden Brandgeruch. Die Linse der Flasche war verdeckt und die Kraft des Lichtes hatte nicht ausgereicht um den Brand entstehen zu lassen. Die Sonne wanderte weiter und verschwand wieder hinter den Blättern. Die Gefahr war vorüber. An diesem Tag würde das Ende der Flasche noch nicht gekommen sein, aber es war nun klar, wie der letzte Tag aussehen konnte: Eines Tages, wenn die Sonne wieder in der richtigen Position stehen wird, wird der Brand entstehen. Der Wald wird die Hitze hinaus tragen und davon verkünden was sich zugetragen hat, doch die Flasche wird zerbrechen in der Glut ihrer eigenen Feuerstelle.
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Autor: |
Burgunder Train | Quelle | Copyright Tauka® 2005 |