Der Wein am Neckar
Bei einer Schifffahrt auf dem Neckar sieht es noch imposanter aus als von den Uferstraßen her: Von Plochingen aus beginnend ziehen sich entlang des Flusses an den sonnenverwöhnten Stellen steil aufragende, mit Trockenmauern terrassierte Weinberghänge entlang.
Zwischen Mundelsheim und Besigheim wirken die Wengertanlagen wie aneinander gereihte, gigantische antike Amphitheater. Da fährt so mancher nach Peru, um die Terrassenanlagen der Inkas in Machu Picchu zu bestaunen und kennt nicht die meist mit Muschelkalk oder Sandsteinen in mühevoller Kleinarbeit unzähliger Wengertergenerationen terrassierten Rebhänge. Dabei reicht die Geschichte des Weinbaus am Neckar bis in die Römerzeit zurück. Und mit dem Weinbau und den Römern und später durch die Schloss- und Klostergärten kamen auch manche Tier- und Pflanzenarten in diese Lagen.
Denn Weinberge sind Lebensraum wärmeliebender Tiere- und Pflanzen und in vielfacher Weise geben sich Natur und Kultur im Weinberg die Hand. Nicht nur zwischen den Rebstöcken finden viele Tiere ihren Platz, sondern auch zwischen den Fugen der Natursteinmauern dieser historischen Weinberge oder in den alten Weinberghäuschen. Der Rotschwanz hat hier seinen Nistplatz und dem Zaunkönig, Siebenschläfer, Igel und Steinmarder bieten die alten Geräteschuppen Unterschlupf. Eidechsen, Schlingnattern und vielerlei Insekten besiedeln die oft jahrhundertealten Trockenmauern. Weinberglauch, Fetthenne und der gelb blühende Mauerpfeffer bedecken die Steinquader. Südländische Tier- und Pflanzenarten wie Osterluzei, Hauswurz, Traubenhyazinthe und Schwertlilie, Singzikade und Schwalbenschwanz bevölkern heute noch manchen Steillagenweinberg. Sie sind Lebensraumspezialisten, die gerade an sonnige und trockene Standorte bestens angepasst sind. Die Pflanzen- und Tiervielfalt in den Weinbergen ist also was ganz Besonderes. Einst von den Römern eingebrachte Wildpflanzen wie der Isop oder die Weinraute sind mittlerweile oft in Vergessenheit geraten. Der Schwalbenschwanz, der die Weinraute als Eiablage-Platz bevorzugt, bekommt jedoch neue Chancen, wenn solche Pflanzen wieder Einzug in die Weinberge halten: Die Pflanze ist heute wieder in Gärtnereien erhältlich.
Erst die faszinierenden Weinbergterrassen mit den landschaftsprägenden Trockenmauern machten den Weinbau am Neckar möglich. Das Gesamtensemble ist eine kulturelle Meisterleistung der Baukunst der einfachen Bevölkerung. Schätzungen zufolge finden sich allein in der Region Stuttgart zwischen Plochingen und Kirchheim a. N. – würde man sie aneinander reihen – rund 670 Kilometer Weinbergsmauern (dies entspricht der Strecke Stuttgart-Hamburg). Hier stehen pro Hektar bis zu 5000 Quadratmeter Trockenmauern – heute ist es unvorstellbar, wie diese ohne technische Hilfsmittel angelegt werden konnten. Dies bedeutete mühevolle Arbeit über viele Generationen hinweg.
Damit die Rebhänge mit den uralten Trockenmauern nicht zuwachsen, ist es aus ökologischen und kulturellen Gründen eine wichtige Aufgabe, den Weinbau an den Steillagen am Neckar zu erhalten. Nur so kann eine unvergleichliche Kulturleistung für die Zukunft bewahrt werden. Da die Mauern die Tageshitze speichern und diese nachts kontinuierlich wieder abgeben, besteht in diesen Weinbaulagen eine viel geringere Gefahr durch Frostschäden. Außerdem sind Steillagen-Weinberge ideale Standorte für wärmeliebende Nutzpflanzen wie Quitten und Pfirsiche.
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