Fußball WM 2011 - Halbfinale |
17.11.13 |
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Die Redaktion hatte mich gebeten Lars Landstrasse, der sich gerade in Dresden aufhielt, mit nach Mönchengladbach zu nehmen. Dies sollte helfen Kosten zu sparen. Eigentlich wollte ich Jannet zum Spiel USA gegen Frankreich mitnehmen, doch sie entschied sich dafür, den Zug zu besteigen. Wir wollten uns dann in Mönchengladbach im Hotel wiedertreffen. Während der Fahrt erzählte ich Lars von meinen Erlebnissen. Unvermittelt begann er in der Bloggerin aus den USA eine Spionin zu erkennen. Er meinte, die Leute vom Pentagon hätten gewusst, dass ich in der Sache recherchiert hatte und nun wäre das Mädchen auf mich angesetzt worden. Bestimmt wisse sie mehr als sie zugibt und habe mich angelogen, als sie behauptete, nach Chile abkommandiert und anschließend aus der Armee entlassen worden zu sein. Er fragte: "Wie war sie denn so? Hat sie dir die Initiative überlassen, oder war sie es, die dich beherrschte!" Zögernd antwortete ich: "Es war eigentlich mal so und mal anders herum." Er war sicher, dass sie mich nur benutzt hatte: "Aha, sie hatte die Zügel in der Hand und du bist bereits ein zahmer williger Hengst. Siehst du. Schon kannst du dich als ihren Sklaven betrachten. Das ist doch ganz eindeutig. Sie setzt alle Künste der Verführung ein, macht dich hörig und schließlich wirst du abgeworben, oder schlimmer, du fängst an, für sie ohne Bezahlung zu arbeiten. Und hinter ihr stehen die Mächte der USA."
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Ich sah ihn ungläubig von der Seite
an, während ich mit einem Auge die Autobahn vor uns im Blick hatte.
"Vielleicht solltest du sie erst einmal kennen lernen, bevor du so
über sie hinweg ziehst!" Er überlegte. "Ich glaube zwar nicht,
dass ich ihr die Geheimnisse entlocken kann, aber meinetwegen komme
ich gerne mit euch zu dem Fußballspiel heute Abend."
Etwas unüberlegt von mir, dachte ich, doch nun konnte ich es nicht mehr
ungeschehen machen. Er würde mit uns auf der Tribüne sitzen und ich
müsste mich auf meine Arbeit konzentrieren, während er versuchen
würde, Jannet aufs Glatteis zu führen. "Aber halte sie wenigstens
nicht davon ab, das Spiel zu verfolgen."
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Wir fuhren in eine Schlechtwetterfront. Der
Regen begann in großen Tropfen auf die Scheiben zu klatschen. Die Straße
sprühte die Gischt von vor uns fahrenden Autos auf. Blitze zuckten über
den Himmel. Lars sagte: "Wusstest du eigentlich, dass es bei den immer
stärker werdenden Unwettern zu einer Veränderung in den Blitzen gekommen
ist?" Draußen wurde es plötzlich dunkel und ich schaltete das Licht
ein. "Nein, welche?" Er beugte sich nach vorne, um durch die
Windschutzscheibe in den Himmel zu starren. "Aufgrund der
veränderten Umweltbedingungen, der Zusammensetzung der Gase in der
Atmosphäre und den höheren Voltzahlen bei den Entladungen, kommt es
inzwischen vereinzelt zur Bildung von Röntgenblitzen." Ich musste mich
immer mehr auf die Straße konzentrieren, die inzwischen einer
Flusslandschaft glich. "Ach. Woher hast du diese Erkenntnis denn?"
Er beugte sich wieder zurück und ich war froh, als sich der Sicherheitsgurt
wieder einrollte. "Das hat ein türkisches Forschungsinstitut bekannt
gegeben." trotzte er stolz und ich fragte ihn ausforschend: "Ja,
hattest du schon einmal während eines Gewitters die Möglichkeit dein
Gerippe zu sehen?" Lars sah mich an und grinste: "Nein, aber
vielleicht bei diesem!"
Wir kamen an eine Autobahnraststätte und ich hielt an, um das Wetter abzuwarten. Außerdem wollte ich etwas Obst kaufen. Also rannte ich durch den strömenden Regen zur Verkaufsstelle. Mit Bananen und Birnen ging es dann wieder zurück. Die Pfützen spritzten unter meinen Schuhen auf, als ich hindurch lief und das Wasser vom Himmel lief mir hinten in den Kragen hinein. Ein unangenehmes Gefühl, wenn man sich dann wieder in die Schalensitze presst. Wir aßen von den süßen Früchten und sahen, wie sich an der schwarzen Wolkenwand eine gelbliche Färbung zeigte. Dahinter wurde es bereits wieder hell. Ich konnte weiterfahren. "Bist du auf dem Gebiet der Erforschung von Blitzen und deren Strahlung tätig?" nahm ich das Gespräch wieder auf. "Nein, aber ich weiß was die Vernichtungsstrahlung ist." wich er mir aus. "Weil Elektronen eine negative Ladung besitzen und Positronen eine positive Ladung, werden beide voneinander angezogen. Die Positronen und die Elektronen werden vernichtet, wenn sie kollidieren. Wenn also freie Elektronen und freie Positronen aufeinanderprallen, dann entseht daraus nichts als Strahlung. Diese Strahlung nennt man Vernichtungsstrahlung und den Vorgang Annihilation. Rein rechnerisch könnte ein Gramm Materie eine Energie von 25 Millionen KWh, oder den Energieinhalt von 2200 Tonnen Öl erbringen. Leider setzen sich viele Menschen mit dem Thema falsch auseinander und verwenden Halbweisheiten zu ihrem eigenen Nutzen. Dann wird zum Bielspiel behauptet: Vernichtungsstrahlung würde jeden gleich vernichten. In Filmen wird das manchmal sehr dramatisch gut dargestellt. Ich denke ich kann auf diesem Weg mitgehen und erzähle eben meine erworbenen Kenntnisse über die neuen Blitze." Ich kam ins Staunen. "Was hattest du eigentlich in Dresden gemacht?" fragte ich und er zeigte mir die linke Faust: "Wir Leninisten müssen dabei sein, wenn der Imperialismus irgendwo seine Brückenköpfe errichtet!" Ich überlegte worauf seine Anspielung abzielte und mir viel ein, dass die neue "Waldschlösschenbrücke" in Dresden einigen Wirbel verursacht hatte und fragte ihn darauf, wo er jetzt hin will. "Nach dem Spiel?"; davon ließ er nicht ab; "Da fahre ich nach Stuttgart, wegen des Bahnhofs!" Er machte eine kunstvolle Pause, strich sich mehrere Male bedächtig durch das Haar, dann fuhr er fort: "Es gibt nämlich Menschen, die lassen sich lange Haare wachsen, tun so als ob sie gegen Atomkraft und den Ausbau des Bahnhofes seien und in Wirklichkeit sind es die größten Befürworter eines solchen Projektes. Alles was sie wollen, sind Gespräche mit den Leuten und Kontaktdaten der Demonstranten, denn ihre wahre Profession ist der Sklavenhandel. Verstehst du? Ich möchte die armen Leute dort warnen. Sie laufen denen direkt und unwissend in die Arme und später haben die Personalmonster alle Informationen, brauchen bloß an den geeigneten Stellen anzurufen und schon hat der Eine seinen Arbeitsplatz verloren, der Andere bekommt einen und der Dritte wird befördert. Alles nur weil sie sagen können: Ich habe mit dem persönlich geredet und weiß wie er sich verhält." "Und bist du gegen den Ausbau, oder dafür?", seine Antwort folgte sofort: "Weder noch. Ich möchte bloß dabei sein und die Menschen die sich zusammenschließen darüber aufklären, was da läuft!" Wir erreichten Mönchengladbach und der Navi dirigierte uns zum Hotel. Die erste Halbfinalbegegnung würde in gut zwei Stunden stattfinden. Wir hatten noch etwas Zeit, uns mit Jannet, die an der Bar auf uns wartete, zu unterhalten. Ich stellte ihr Lars höfflich vor, der sich eine runde Nickelbrille aufgesetzt hatte. Mit seinen blonden Haaren und den blonden Bartstoppeln, die eindeutig auswiesen, dass er seine Haare nicht gefärbt hatte, sah er aus, wie ein moderner Jung Siegfried der Nibelungensaga.
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Das Stadion war nicht voll besetzt und wir
hatten keine Mühe uns eine günstige Sicht zu verschaffen. Jannet,
die sich zwischen mich und Lars positioniert hatte, war mit den
amerikanischen Landesfarben geschmückt. Sie hatte sich ein kleines Fähnchen
auf jede Backe gemalt.
Nachdem die Spielerinnen eingelaufen waren, verlasen sie jeweils in ihrer Landessprache eine Erklärung gegen Diskriminierungen und Rassismus. Die Französinnen spielten den Ball an und versuchten über die rechte Flanke nach vorne zu kommen. Sie schossen einen harten Ball, knapp über die Latte und es kam darauf zu einer Ecke. Dann aber, in der achten Minute, fiel ein Tor auf der französischen Seite, welches auf eine leicht verwirrte Abwehr, zumindest aber Abwehrschwäche, zurückzuführen war. Unsere Begleiterin brach in Jubelstürme aus und küsste uns immer wieder. Kurz darauf eröffnete Lars eine Unterhaltung mit Jannet und erklärte ihr anscheinend einige Details des Stadions, denn er zeigte mit ausgestreckten Armen auf verschiedene Punkte im Rund. Ich konnte nichts dagegen einwenden, da ich mit dem Laptop beschäftig war und eifrig den Spielverlauf eintippte. Ich dachte aber, dass Jannet ihn bald ablehnen würde, wenn er sie daran hinderte, ihre Landsleute beim Fußball zu sehen. Die Französinnen fingen sich erst nach einer ganzen Weile wieder von dem Treffer. Es folgten eine Reihe von Angriffen mit Steilpässen, aber sie konnten die Amerikanerinnen in der ersten Halbzeit nicht gefährden. Ich hielt Jannet das Laptop hin und fragte sie, ob sie nicht auch mal ein paar Sätze schreiben will. Sie freute sich, strich sich die Mähne hinter das Ohr, sah auf den Bildschirm und versuchte den Sinn meiner letzten Ausführungen zu begreifen. Dann schrieb sie in einer Listenform, wie sie das Spiel gesehen hatte und was sie sich für die zweite Halbzeit erhoffte. Als der Anpfiff zur zweiten Halbzeit erklang, reichte sie mir das Gerät zurück. "Hier, vielleicht kannst du es irgendwie verwenden." Lars kümmerte sich sofort wieder um Jannet, während ich die Satzfetzen in einen grammatikalisch richtigen Ablauf zu bringen suchte. Ich hörte sie mit einem Ohr laut auflachen, als er ihr erklärte, dass Lars mit Nachnamen Landstrasse hieße und da dies auf amerikanisch einer Road entspräche, würde es doch gut zu ihrem Namen passen : Road und Runner = Roadrunner. Ihren Aufzeichnungen entnahm ich: Was sie sehen wollte waren schnelle und weite Züge über die Flanken in die Mitte und auf das Tor. Möglichst wenig Freistöße, oder Ecken. Ihre Mannschaft sollte ihrer Ansicht nach frontal durch die Abwehr gehen und mit gezielten Weitschüssen zum Torerfolg kommen. Noch bevor ich meinen Faden wiedergefunden hatte, war die Französin Sonia Bompastor vor dem Tor und ließ einen Ball hinter die Linie fliegen. Jannets Schultern sackten herunter. Man konnte beiden Damenschaften anmerken, dass ihnen die vorigen Spiele noch in den Knochen steckten. Trumpften die Französinnen auf, waren es die Amerikanerinnen die nach hinten umfielen und nur mühsam wieder auf die Beine kamen, waren es die Amerikanerinnen, ließen sich die Französinnen fallen. Dann aber doch: Ecke für die Amerikanerinnen, auf den Kopf von Abby Wambach und im Tor untergebracht. Wieder bekamen wir Küsschen. Und wie mit warmen Kohlen befeuert brachten sich die Amerikanerinnen erneut in Position und erzielten mit Alex Morgan das 3:1. Eigentlich konnte nichts mehr schief gehen. Jannet tanzte vor Freude stehend auf ihrem Platz und Lars hüpfte mit herum. Mit diesem Ergebnis zogen die USA ins Finale ein. Immer wieder jubelnd und "Born in USA" singend, stolzierten wir in das Hotel zurück. Eigentlich hätte ich erwartet, dass Jannet mit mir auf das Zimmer geht, mir noch ein wenig bei der Arbeit hilft und schließlich das zweite Halbfinalspiel mit mir im Fernsehen ansieht, doch es kam anders. Sie ging mit Lars an die Bar und während ich mich enttäuscht und eifersüchtig auf das Spiel Japan gegen Schweden vorbereitete, kam auch noch eine Mail, dass sie mit Lars in die Stadt gehen würde, um noch etwas zu feiern. Ich fühlte mich beleidigt als das Spiel angepfiffen wurde. Japan, die uns aus dem Match geworfen hatten, aber eigentlich gar nichts für meine Wut konnten, gegen die hübschen Schwedinnen, die zu den "im Ozean lebenden" Wikingervölkern zählen und mächtige Schiffe besitzen. Ich wusste nicht, wem ich meine Gunst schenken sollte und hing mit den Gefühlen in den Seilen. Ohne viel zu schreiben, sah ich erbost in die Glotze. Auch die Spielerinnen aus Japan und Schweden erhoben ihre Stimme gegen Rassismus und Diskriminierung. Nach dem Anpfiff waren es zunächst die Schwedinnen, die mit einem sauberen Treffer in Führung gingen. Nach etwa zwanzig Minuten ließen die Japanerinnen ihre Torgefährlichkeit aufblitzen und brachten das Leder über die Linie. Dann aber schossen sich die Japanerinnen in der zweiten Halbzeit in Führung und erreichten das Finale mit 3:1. Mit diesem spannenden und schönen Spiel war ich auch wieder gelassener geworden und legte mich zufrieden ins Bett.
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Autor: |
Steffen Windschatten | Quelle | Copyright Tauka® 2010 |