Abhängig

17.11.13

Am Fahrstuhl hing ein Schild: "Defekt!". Pirein, der sich heute ganz besonders herausgeputzt hatte, nach einem Mundwasser roch und die Schuhe mit Glanzlack poliert hatte, war gezwungen, die fünfzehn Stockwerke zu Fuß hinauf zu steigen. Dann lies ihn die Auftraggeberin einige Minuten auf dem Flur warten, bis er durch die Türe des Vorzimmerbüros zu ihr hinein gelassen wurde. 

"Wie können Sie meiner Freundin so etwas sagen? Lassen Sie endlich die Familie in Ruhe und vor allem die Kinder!“ die Auftraggeberin schrie es fast. Steffi sprach über Frau Kück. Pirein stand in ihrem Büro und blickte zuerst auf eine Yuccapalme, die in einer Ecke stand, dann sah er Steffi fragend an die viel jünger war als er und es war ihm ein Gräuel sich mit dem Mädchen auseinandersetzen zu müssen, aber dies war Teil seines Vertrags. „Wieso? Sie wollen doch die Firma übernehmen. Das ist es doch was für Sie dabei herausspringen soll. Niemand bezahlt soviel Geld, damit Kinder nicht mehr geschlagen werden.“ Jetzt schrie sie: „Doch! Herr Pirein. Ich zahle soviel, damit Kinder nicht mehr geschlagen werden!“

„Nein! ...“ herrschte er sie an. „ ... es sei denn, sie wollen nicht diese Familie, sondern sie wollen mich. - Sie wollen mich, weil Sie etwas über mich in Erfahrung gebracht haben, und das was Sie in Erfahrung gebracht haben kann Ihnen entweder Nutzen oder es kann Ihnen Schaden. Sie bezahlen mich jedenfalls für diesen seltsamen Auftrag, damit Sie mich irgendwie in der Hand haben.“ Dann machte er eine Pause und fügte in lapidar klingendem Ton an: „Habe ich Recht?“ Es hörte sich an, als wenn er beim Kaffeetrinken den kleinen Finger abgespreizt hätte.

„Herr Pirein, jetzt habe ich aber genug. Sie kommen hier her, werden von mir für einen Auftrag bezahlt, von dem ich Sie inzwischen entbunden habe, fangen an in den Vereinen den großen Macker zu machen, spielen sich auf als wären Sie der "Kapitän Amerika" und fangen dann auch noch an meine Freunde zu belästigen, ja sogar zu denunzieren, oder schlimmeres. Sie haben doch auch Familie und Freunde. Warum lassen Sie denn die Menschen nicht einfach in Ruhe, wie ich es Ihnen gesagt habe. Liegen Ihnen die denn Kinder nicht am Herzen, haben Sie denn keine Skrupel, bei dem was Sie da vorhaben?“

Pirein bekann zu torkeln. „Verdammt noch mal, darum geht es nicht. Wenn Ihnen Kinder leid tuen, hätten Sie mich nicht holen brauchen!“ Es war ein Moment still in dem Büro, dann sagte die junge Auftraggeberin ausdrucksschwanger: „Sie wollen also wissen, weswegen Sie hier sind  und worum es mir geht?“ Pirein klang heiser. „Ja. Sie haben es endlich erfasst.“

Sie erklärte: „Ich möchte wissen, wie viele Kinder Sie haben.“ Jeglichen klaren Gedankens beraubt stob Pirein auf die Auftraggeberin zu. „Aber das habe ich Ihnen gesagt als wir uns kennen lernten. Ich habe eine Frau und zwei Kinder.“ Sie stand auf und ging auf der, von ihm abgewandten Seite des Schreibtisches in Richtung Bürotüre. „Eben das weiß ich nicht.“

Sie ließ ihn im Büro alleine. Nach einem kurzen Augenblick kam die Sekretärin aus dem Vorzimmer und sagte zu Pirein: „Sie möchten bitte gehen.“  Pirein keuchte ein: „Ich verstehe.“ und machte sich auf, dieses Büro zu verlassen. Die Sekretärin begleitete ihn und ging zum Aufzug. Sie drückte sogar für ihn die Taste zum Erdgeschoss, dann sagte sie: „Auf Wiedersehen Herr Pirein!“ und die Aufzugstüre schloss sich.

* * *

Pirein lief in seiner Wohnung auf und ab. Konnte es sein, dass die Stern’s etwas über ihn wussten, was er selber nicht ahnte. Er hatte kaum Verkehr mit Frauen. Selbst mit seiner eigenen Frau hatte er selten Sex. Die zwei Kinder waren gezeugt worden, damit der Anschein einer intakten Familie gewahrt war. Außerdem wollte er Erben für sein Vermögen und er wollte Kinder, die er nach seinem Willen und Glauben erziehen kann, ohne dass man ihm da hinein reden konnte. Er propagierte gleichgeschlechtliche Liebe. Aber konnte es sein, dass ein weiteres Kind von ihm existierte. Hatte vielleicht einer seiner homosexuellen Liebsten ihn verraten und seinen Samen gesammelt und weitergegeben? 

Er selbst hatte schon solche Experimente mit Drogenabhängigen gemacht. Der Samen wurde durch seine Sekte gekauft und wie bei der künstlichen Befruchtung von Pferden und Kühen, hatte er als Zeremonienmeister den Samen dann bei einer Dirne eingebracht. Dieses Ritual fand bei den, alle fünf Jahre vorkommenden "Vata- Zeremonien" seiner Sekte statt. Der Zeremonienmeister befruchtete dabei eine Frau die dafür ausgesucht worden war und empfängnisbereit war. Tatsächlich gab es Kinder in seinem Umfeld, welche aus dieser zeitlich und räumlich getrennten Befruchtungszeremonie entstanden waren. Aber davon wusste nur er. Die Dirnen waren meist vor und während der Befruchtung betäubt worden. Die Planung und Ausführung hatte wurde von den obersten Sektenmitgliedern bewilligt und Pirein war einer davon.

Hatte also einer seiner geliebten Freunde seine Spermien entwendet?

„Sie blufft!“ sagte er vor sich hin. „Sie will, dass ich mich verrate.“ Pirein legte sich hin und schlief unruhig ein.

* * *

An den darauffolgenden Tagen ging Pirein wieder ins Reiterstübchen. An einem Abend traft er den Vater Kück dort. Die Kinder waren in der Reithalle und wurden im Voltigieren unterrichtet. Durch eine Glasscheibe sah Kück seinen Kindern dabei zu. 

„Na, spielen ihre Eunuchen wieder mit den Pferden?“ Die ganze anwesende Gesellschaft war schockiert. „Oh, Verzeihung. Ich wollte einen Scherz machen.“ Man war wiederum allseits entrüstet. Von der Wirtin bekam Kück Unterstützung: „Herr Doktor, Ihr Humor ist wirklich schwer zu verstehen.“ Pirein bestellte zwei Gläser Bier und brachte eines zu Kück hin. „Ich bitte nochmals um Entschuldigung. Ich war wohl eben etwas zu herb. Ich mag Ihre Kinder, wissen Sie.“ Der Vater nickte kurz. „Nun, Eunuchen sind kastriert, meine Söhne nicht. Nehmen Sie dies zur Kenntnis.“ Pirein tat verlegen. „Ja. Ich bin selber von meinem Vater so genannt worden und dachte mir eben nichts dabei.“ Er trank einen Schluck von seinem Bier. „Sie sind doch Inhaber einer kleinen Fabrik. Ich wäre an einer Zusammenarbeit interessiert. Wollen Sie nicht einen stillen Teilhaber mit hinein nehmen?“ Der Vater blickte zu seinen Söhnen hinaus. „Nein.“

* * *

Pirein hatte damit gerechnet. Für ihn war dies die Art, in der man ein Angebot machte. Nachdem seine Auftraggeberin ihn so schändlich behandelt hatte, wollte er der Familie eine Chance geben. Hätte der Vater jetzt zugestimmt, hätte Pirein ihm vielleicht geholfen. Aber Kück musste "Nein" sagen, nach dieser Bemerkung.

Pirein war wieder fest davon überzeugt, dass seine Auftraggeberin die kleine Firma aufkaufen würde. Und dieser Mann, der neben ihm stand würde sicher nicht bemerken, dass sie es auf ihn abgesehen hat, aber ihm von seinen Gedanken berichten wollte er nicht. Also konnte er nun um eine Erleichterung herum kommen. „Warum vergrößern Sie nicht. Ihr Unternehmen wäre hervorragend geeignet. Sie haben Platz und könnten sich einen größeren Marktanteil sichern.“

Tatsächlich war um die Firma herum ein großes unbebautes Grundstück, welches zum Firmengelände gehörte. Der Fabrikbau war noch nicht alt. Die Fundamente gut, aber die Maschinen drängten sich auf wenig Platz. Die Arbeiter in dem Unternehmen hatten sich oft aneinander vorbeizuschlängeln. Manchmal war es so eng, dass der Arbeitsprozess dadurch gestört wurde, eine Maschine für kurze Zeit abgeschaltet werden musste. 

„Ich habe auch schon darüber nachgedacht.“ antwortete der Vater deswegen. Er selbst hatte sich schon so geäußert und es war nicht auszuschließen, dass Pirein davon gehört hatte. „Aber ich möchte keinen Teilhaber. Wissen Sie ich bin ein Mensch der gerne alleine seine Entscheidungen trifft. Pirein nickte, stellte sein Bier auf den Tresen  und ging in den Stall, um ein Pferd zu satteln, denn er wollte der Erste sein der nach den Kindern in der Reithalle ritt und sie sollten ihn sehen, wie er auf dem Pferd sitzend in die Reithalle trabte, während sie ihre Pferde am Zaumzeug hinausführten.

* * *

Die Stern’s hatten tatsächlich etwas in Erfahrung gebracht, was ihnen den Atem raubte. Das Pentagon hatte sich eingeschaltet und lachend behauptet, dass Pirein tatsächlich ihr Mann sei. Er habe den Auftrag in Europa möglichst viele Abkömmlinge zu zeugen und man wolle ihn nach allen Kräften dabei unterstützen. Deswegen wäre man sehr dankbar, wenn auch die Familie Stern sich nicht weiter negativ in die Belange einmischte, die von amerikanischer Seite als immens wichtig betrachtet würden. Unterstützung bei diesem Vorhaben würde man seitens der USA allerdings gerne entgegennehmen. Geld spiele überhaupt keine Rolle.

Die Familie Stern beriet sich und kam zu dem Schluss , dass es das beste wäre zunächst einmal mitzuspielen. Schließlich konnte es sein, dass die Amerikaner ihr Unternehmen einfach aufkauften, wenn sie sich sträubten. Wenn die Alliierten einmal einen dicken deutschen Fisch in die Hände bekamen, benahmen sie sich meist wie Raubtiere. Sie zögerten nicht lange, sondern teilten ihn untereinander auf. Der Stern Konzern war zwar kein besonders dicker Fisch, aber immerhin.

Zudem zeichnete sich eine Wirtschaftsflaute ab. Es kamen harte Jahre für alle, die kein finanzielles Polster zur Verfügung hatten. Der Grund war sicherlich in einer Sättigung zu suchen, welche man erreicht hatte, aber andererseits war es auch eine europäische Umstrukturierung, die in dieser Zeit dazu führte, dass einige Unternehmen nicht mehr angefordert wurden und deren Erzeugnisse nicht gekauft wurden.

 

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Dreckberg

Autor:

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