Lüge

17.11.13

Pirein schnauzte die Auftraggeberin an, die sich trotz ihres Alters nicht anmerken lies, ob sie vor Pirein bereits Angst hatte: „Sie wollen mich an den Pranger stellen. Sie wissen von meiner Vergangenheit und wollen mich dazu verleiten, mich selber auszuliefern. Wissen sie was, ich werde das aber nicht machen. Vielleicht werde ich ihr Spiel weiter mitspielen, denn ich habe keinen Grund vor ihnen Angst zu haben, aber sie erklären mir zuerst, wieso ich weiter bleiben soll.“ 

Stefanie Stern saß wieder an ihrem Mahagonischreibtisch. „Herr Pirein, was ist denn bloß passiert?“ fragte sie unterwürfig. „Was passiert ist?“ herrschte er sie an. „Das wissen Sie doch genau. Der Junge hat mir doch in ihrem Auftrag eine Feder geschenkt. Von einer Taube – das Symbol des Friedens.“

Stefanie war tatsächlich erstaunt, denn sie hatte nicht davon gehört. „Ach, ich glaube nicht, Herr Pirein, dass er Sie damit in eine kompromittierende Situation bringen wollte. Und ich habe auch niemanden gesagt, dass so etwas geschehen solle. Ich denke der Junge ist einfach nur intelligent.“ Sie nahm einen Kugelschreiber auf und blickte auf die Papiere auf ihrem Schreibtisch. Mit dem Kugelschreiber fuhr sie einigen Zeilen nach die dort standen. Sie sah unbeteiligt aus, während er vor ihrem Schreibtisch von links nach rechts ging und sich ans Kinn fasste. „Nein, wenn sie es ihm nicht gesagt haben, dann war es die Mutter. Sie hat ihn angewiesen, dies so zu machen.“ Die Auftraggeberin blickte weiterhin auf das Blatt vor ihr. „Ich glaube, der Junge hat davon gehört, dass Sie sich für ihn einsetzen und er keine Ohrfeigen mehr bekommen soll und wollte sich auf diese Art bedanken.“ Pirein blieb stehen. „So soll das Aussehen. Aber ich glaube nicht, dass es so ist. Verstehen Sie.“ Sie sah nicht einmal auf.  „Freuen Sie sich doch, sie haben einen Erfolg verbuchen können. Ihre Arbeitsweise hat wieder Erwarten einen besseren Menschen erschaffen.“ Pirein blieb stehen und zeigte mit dem Finger auf die Auftraggeberin. „Das ist es also. Sie wollen meine Methoden dazu nutzen unentgeltlich bessere Menschen zu erschaffen, aber das werde ich vermeiden.“ Sie hob den Kopf. „Unentgeltlich, Herr Pirein?“ Er sah sie verächtlich. Dann drehte er sich um und ging in Richtung Türe. „Und ob!“ sagte er herausfordernd, während er durch die Türe schritt.

* * *

Pirein wollte sich mit dieser Lüge Luft verschaffen. Er sagte sich selber, dass er einen Erfolg errungen hatte. Laut sang er in seiner Wohnung. Sie hatte ihn nicht weggeschickt, sie hatte auch nicht gesagt, dass er bisher Fehler gemacht habe. Er war davon überzeugt auf dem richtigen Wege zu sein, auch dieses reiche Mädchen, welches ihn so sehr ärgerte in den Griff zu bekommen. Sie wollte das kleine Unternehmen der Familie Kück, dass stand für ihn fest und er sollte davon möglichst nichts davon mitbekommen. Aber er musste mitspielen, denn sonst würde die Familie Stern ihn ausboten. Eine dreiste Lüge als Herausforderung konnte da nur richtig sein.

Aber er musste auch etwas finden, die Familie Stern in der Hand zu haben. Dann würde er weitere Bedingungen stellen können. Auch die Beziehungen welche die Kücks zu den Sterns hatten, waren ihm nicht recht. Er könnte sich an dem Geschäft mit der Façondreherei beteiligen, wenn er Einfluss darauf haben würde, wie die Familie sich der Auftraggeberin gegenüber verhält.

* * * 

Pirein ging wieder in den Tennisclub. Er schaute den beiden Kindern zu. Beide Jungs spielten gerade gegeneinander auf dem Tennisplatz. Die Kraft reichte noch nicht aus, um richtig mit dem Schläger umzugehen. Die Mutter spielte auf einem anderen Platz. Er musste irgendwie das Vertrauen der Kinder erlangen, das würde ihm weiterhelfen. Wenngleich er wusste, dass es schwierig sein würde, die Kinder nochmals zu einer Annäherung zu bewegen. Tropos und Triban hatten unbewusst Angst vor ihm, auch wenn sie an die Tat, in der Nacht vor einigen Monaten keine bewusste Erinnerung hatten. 

Als die Kinder mit ihrem Spiel aufhörten, sprach er sie an. „Kommt doch mal her. Wollt ihr `ne Cola verdienen?“ Zögernd kamen sie an. Es war nicht unüblich, dass Vereinsmitglieder den Kindern ein Getränk ausgaben, wenn Sie gleich ein Spiel hatten und Balljungen benötigten. „Was müssen wir machen?“ Pirein wollte sich väterlich, witzig geben. „Setz dich auf meinen Schoß und ich erkläre es dir.“ sagte er dreist. Der kleine Triban fragte: „Sind sie schwul?“ Pirein war fassungslos. Er hatte noch nie erlebt, dass sich ein Kind in diesem Alter so schnell verweigerte, auch wenn ihm eine sexuelle Begegnung geschehen war. Sicher, er war Homosexuell veranlagt, aber das wusste hier niemand. Es konnte also nicht sein, dass seine Geschichte bekannt war. Selbst in seinem früheren Wohnort wussten nur wenige Menschen davon. Er war ja verheiratet und hatte zwei Kinder. Das gab ihm eigentlich einen optimalen Schutz.

„Nein! ...“ log er „ ... Ich wollte nur über die Geschäftsbedingungen sprechen. Ihr macht doch gerne die Balljungen. Für eine Cola vorher und eine nachher seid ihr engagiert.“ Aber die Jungs machten noch nicht mit.

* * *

Pirein stellte nochmals Nachforschungen an. Er suchte im Umfeld der Kinder, in der Nachbarschaft. Und da stieß er endlich auf etwas, womit er in die Geschicke der Familie Kück nachhaltig eingreifen konnte.

Ein Junge in der Nachbarschaft war etwas zurückgeblieben. Inzwischen fünfzehn Jahre alt konnte er noch nicht lesen und nicht schreiben. Er hatte etwa den Wissensstand eines Siebenjährigen, entwickelte aber sexuelle Neigungen. Mit dem Jungen spielten Tropos und Triban öfters. Eher zufällig erfuhr Pirein, dass ein Jäger im Wald Frauenkleidung gefunden hatte und den zurückgebliebenen Jungen dabei erwischt hatte, wie er sich heimlich im Wald die Sachen anzog, sich schminkte und wie eine Frau auf Stöckelschuhen durch den Wald stolzierte.

Das war genau das was Pirein gesucht hatte.  Zunächst konnte er jederzeit behaupten, Tropos und Triban hätten in der Nacht von diesem Kerl geträumt, wenn sie sich irgendwann daran erinnern sollten. Er war von nun an jeder Kleinigkeit interessiert.

* * *

Pirein näherte sich nun der Nachbarschaft der Familie. Er wollte mehr wissen über die Spiele, welche der Zurückgebliebene veranstaltete und in wie weit er die Kinder in sein Spiel mit einbezog. Natürlich konnte er nicht einfach hingehen und fragen. Die Leute hätten ihm irgend eine unwahre Geschichte erzählt, oder überhaupt kein Wort gesagt. Solche Geschehnisse werden in Dorfgemeinschaften geradezu konsequent verschwiegen.

Er setzte sein Geld ein und bestach die Leute. Mit den einfachen Leuten, die in der Nähe wohnten hatte er leichtes Spiel. Sie nahmen gerne etwas Geld und er gab sich mal als Bauherr aus, der hier bauen will, mal als Beamter vom Gesundheitsamt, oder er sprach in unverfänglicher Art mit dem Förster und erfuhr dadurch nähere Umstände dieses „Verbrechens“, wobei er die Leute immerzu bat, selber eine Erklärung für die Ursache des abnormalen Verhaltens abzugeben.

Er notierte sich alles und machte sich ein neues Bild über die Zeitgenossen, mit denen die Familie zu schaffen hatte.  

Als er die Mutter der Kinder wieder beim Tennis traf, bat er sie ihre Kinder mögen ihn doch bitte nicht mit „Schwul“ titulieren, er sei schließlich nicht irgend ein Junge aus ihrer Nachbarschaft, sondern ein Doktor, der Ansehen und guten Leumund genieße. Sie blickte ihn aufgeschreckt an und murmelte „Natürlich, Herr Doktor.“

 * * *

Die Sterns beobachten jetzt das Treiben des angeblichen Dr. Pirein sehr genau. Der Vater von Stefanie redete mit Kück und erklärte ihm dass es besser sei, sich von Pirein fern zu halten.  Es wäre ein Leichtes gewesen, Pirein’s Lügengebäude zum Einsturz zu bringen und den Kück’s von ihrer Vermutung zu berichten. Aber sie wollten die Sache nicht hochspielen, solange sie keine Gewissheit darüber hatten, was vorgefallen war. Schließlich konnte man nichts mehr daran ändern, wenn Tropos und Triban unter Drogen gesetzt gewesen waren und die Eltern nicht genug auf die beiden aufgepasst hatten. Und Pirein würde man immer noch einer Strafe zuführen können. Doch sie hatten auch noch etwas anderes im Sinn:

Die Sterns sprachen mit den Alliierten über das Problem. Sie wollten erreichen, dass sich die Amerikaner der Sache annehmen. Schließlich war Pirein von einem ihrer Soldaten vergewaltigt worden und damit war die Verantwortung auch in deren politischen Verhalten zu suchen. Es war eine Möglichkeit, eine günstige Verhandlungsposition für weitere, weltweite Geschäfte zu erlangen und die Alliierten waren längst nicht mehr in allen Punkten gleichgesinnt, was die Politik gegenüber Deutschland anbetraf. Man sprach mit führenden Personen in allen Kreisen über diesen Zuhälter, sogar mit Kreisen der NATO und verlangte zu erfahren, wie man gegen ihn vorgehen solle.

Doch die Antwort ließ auf sich warten.

 

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Dreckberg

Autor:

Serpentine Copyright Tauka® 2005